Dreh- und Angelpunkt im wahrsten Sinne des Wortes ist die Videoprojektion, für die der Raum verdunkelt wurde. Im Gegensatz zum statischen Leinwandbild, auf dem die einmal gefundene Komposition dauerhaft fixiert werden soll, ist das Videobild bewegt. Anna Tretter interessiert gerade diese Spannung zwischen Bild und Bewegung. Der Videofilm zeigt aus einer festen Einstellung den Blick in eine Gasse, die hin und wieder von Passanten durchquert wird. Ohne Ton, schwarz/weiß und in Zeitlupe geht der Film mit den Mitteln der Verfremdung bewußt auf Distanz zur Realität. Die Vielfalt der Bewegungsabläufe, die vor gleichbleibendem Hintergrund und in ihrer zeitlupenhaften Verfremdung besonders hervortreten, ist gegeben: Einkäufer hasten vorbei oder schlendern geruhsam durchs Bild, zwei Frauen bleiben zum Gespräch stehen, ein Junge posiert spielerisch vor der Kamera. Bisweilen verdeckt ein vorbeifahrender Bus oder ein naher Fußgänger die Szene. Die Ortskundigen werden bald den genauen Platz ausgemacht haben, der in unmittelbarer Nähe der Galerie liegt.
Dieser Film ist gleich zweimal zu sehen: Zum einen auf dem Monitor, der zum Eingang gerichtet ist, zum anderen an den Wänden der Galerie entlangwandernd. Das Charakteristische dieser Projektion ist, dass sie die Bewegung der Passanten aufnimmt und die innerbildliche Bewegung in eine tatsächliche Bewegung des Projektionsbildes umsetzt.
Technisch geschieht das dadurch, dass der Film auf einen sich drehenden Spiegel projoziert wird, der von der Decke des Raumes hängt. Genaugenommen sind zwei Bewegungen zu unterscheiden: Das Bild dreht sich nicht nur im Rund, sondern rotiert zudem um den eigenen Mittelpunkt, so dass die Personen nur einen Augenblick lang festen Boden unter den Füßen haben, bevor sie sich zur Seite neigen oder auf dem Kopf stehen. Damit nicht genug verändert sich das Bild selbst in seinen Ausmaßen, seiner Schärfe und Helligkeit.“ …
Textauszug: Felix Reuße, Text zur Ausstellung Anna Tretter – Videoinstallation „Move“ / Arbeiten auf Papier
Dokumentation der Ausstellung im Galerieverein Leonberg 2000