Linduschka, Heinz: Froufrou

Moderne Kunst: Mit Anna Tretters Bildern, Skulpturen und Installationen eröffnet die Galerie Kreuzer die Freie Internationale Akademie Amorbach,
Bote vom Untermain, 9. April 2013

Räumliche und grafische Sensibilität  

Zunächst fällt eine große Skulptur aus geflammtem Stahl mit dem Titel „TW-IN“ ins Auge. Mit einer Höhe von gut 1,80 Meter ziehen da zwei Stahltürme die Aufmerksamkeit auf sich, die auf den ersten Blick an die Twin Towers des World Trade Center erinnern. Aber das Kunstwerk verdient einen zweiten und dritten Blick. Vor allem die differenzierte Oberflächenbehandlung der Stahlobjekte regen die Phantasie an und leiten fast nahtlos zu den Papierarbeiten Tretters in der Ausstellung über. Denn auch in den Stahloberflächen sind zeichnerisch-malerische Elemente zu finden, Strukturen mit dreidimensionalen Effekten, die auch die großformatigen Bilder mit Silberlack, Asche und Graphit auf Bütten auszeichnen und für ein faszinierendes Spiel von Licht und Schatten sorgen. Ohnehin ist der völlige Verzicht auf Farbelemente typisch für Tretters Arbeiten. Sie setzt auf das Spiel von Licht und Schatten, wobei der Strich und der Auftrag der Materialien für einen verblüffenden Reichtum von Abstufungen sorgen. Manche Bilder wirken zart und wolkig, bei anderen ahnt man kraftvolle Strukturen, harte Gegensätze – aber alles in Lichtwirkung eingebettet und zugleich eine Herausforderung an die Phantasie des Betrachters.
„Froufrou – das Rascheln von Seidenstoffen und von anderen Beweggründen“ hat Anna Tretter ihre Präsentation genannt. Die 57-jährige Künstlerin, die zahlreiche Einzelausstellungen in Deutschland, der Schweiz, Polen, der Slowakei und in Südafrika beschickt hat, deren Kunst mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde und die als Gastdozentin und als Gastprofessorin in mehreren Ländern Kunsttheorie und Kunstpraxis gelehrt hat, lässt sich in keine Schublade stecken. Immer wieder räumt sie auch dem Zufall beim künstlerischen Prozess großen Raum ein, wenn sie mit Silberlack oder auch mit Kaffeesatz arbeitet, wenn sie Installationen entwickelt, die Räume ergründen und ausschreiten und Verbindungen herstellen, die im Alltagsgetriebe nicht erkennbar sind. Ein schönes Beispiel für diese Art von Kunst, mit der Anna Tretter in Mittel- und Osteuropa schon große Projekte im Auftrag der EU durchgeführt hat, ist auch in Amorbach zu sehen. Im Projektraum „Beste Lage“ hat sie zusammen mit Thomas Hohlfeld mit Videoinstallationen Orte und Kunststätten verknüpft und künstlerisch aufeinander bezogen – eine kreative Auseinandersetzung mit Raum und Zeit, die ganz typisch für Anna Tretter ist und für so manchen Kunstrezipienten ganz sicher eine Herausforderung darstellt.
Die Vernissage Rede in Amorbach hielt Michael Sieber, 1998 bis 2006 politischer Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg. Er lobte die Arbeit von Anna Tretter u.a. mit dem Satz: „Künstler erhellen die toten Winkel der Grauzonen der Wahrnehmung“ und formulierte mit Blick auf Platon: „Der Greifbarkeit des Gegenstandes antwortet die Unendlichkeit des Raumes“.

Textauszüge: Heinz Linduschka: Räumliche und grafische Sensibilität   Moderne Kunst: Mit Anna Tretters Bildern, Skulpturen und Installationen eröffnet die Galerie Kreuzer die Freie Internationale Akademie Amorbach,
Bote vom Untermain, 9. April 2013